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Alle grossen Ideen scheitern an den Leuten

Am 10. Februar 1898, also vor fast genau 100 Jahren, wurde Bertolt Brecht in Augsburg (D) geboren. Seine Bücher geben auch 42 Jahre nach seinem Tod noch viel zu reden. Warum eigentlich?

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Bertolt Brecht

Primär ist es die Brisanz, die in vielen seinen Büchern zum Ausdruck kommt. Brecht kritisiert den Kapitalismus, er stellt ihn sogar in Frage. Er behauptet, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft die Wirtschaftsmacht im Widerspruch zur Nächstenliebe steht. Pointiert gesagt, nur wer die anderen ausnützt, kann überleben, kann aber das Gebot der Nächstenliebe nicht befolgen. Am eindrücklichsten beweist er seine These in der Parabel "Der gute Mensch von Sezuan". Drei Götter kommen auf die Erde, um zu beweisen, dass es gute Menschen gibt. Unterkunft finden sie bei Shen Te, die gutmütig ist, allerdings von allen ausgenutzt wird. Shen Te verwandelt sich in Shui Ta, der knallhart zu den Leuten ist, der aber wirtschaftlich erfolgreich ist. Mit dieser Zweiteilung der Hauptrolle will Brecht zum Ausdruck bringen, dass es nicht möglich ist gut zu leben und doch nett zu sein. Als Lösung dieses Problems sieht Brecht den Marxismus, der den Kampf um Kapital und Macht überwindet.

Seine Stücke wirken sehr glaubwürdig, weil er die Problematik der kapitalistischen Gesellschaft als junger Mann erlebt hat. Nach seinem Dienst im ersten Weltkrieg sah er, wie der Widerspruch zwischen Wirtschaftsmacht und Nächstenliebe zu einer Verarmung der Leute führte, was Faschismus und das dritte Reich zur Folge hatte. Brecht sieht also den direkten Zusammenhang zwischen Kapitalismus und dem Chaos, das durch den Untergang des 3. Reiches verursacht wurde. Wie schon Karl Marx glaubt Bertolt Brecht nicht an einen Beständigen Frieden im kapitalistischen System, sondern dass die friedliche Phase des Kapitalismus bloss die Ruhe vor dem Sturm ist, die den nächsten Konflikt einleitet, in dem dieser Widerspruch erneut zum Ausbruch kommt.

Wie würde wohl Brecht das Ganze heute beurteilen, wenn er noch leben würde? Sicher nähme er Abstand von der sozialistischen Terrordiktatur in der ehemaligen Sowjetunion. Dieses Terrorregime, das auf der Unterdrückung der Bevölkerung beruhte, ist keineswegs im Sinne des humanen Denkens von Brecht. Schliesslich käme wohl Brecht zur Erkenntnis, dass grosse Ideen (seiner Meinung nach der Marxismus) tatsächlich an den Leuten scheitert, weil die Leute mit diesen Ideen schlichtweg überfordert sind und weil es den Menschen nicht gelingt, Macht zu besitzen ohne diktatorisch zu werden.

Heute ist das zwar etwas anders, d.h. die politische Diktatur ist überwunden, dafür nimmt die Diktatur der Wirtschaft ein beängstigendes Ausmass an. Hinsichtlich dieser Tatsache ist Brecht heute sehr aktuell, zumal sich in den letzten Jahren Auswüchse des Kapitalismus bemerkbar machten, die schon Marx prophezeit hatte. Dadurch sind Brechts Stücke auch 42 Jahre nach seinem Tod (noch) nicht veraltet und in Vergessenheit geraten. Sie werden erst vergessen sein, wenn keine Diskussionen mehr darüber stattfinden, und das ist wohl erst der Fall, wenn das, was er forderte, Tatsache geworden ist. Überspitzt gesagt, ist seine Literatur eine Geissel der Geschichte, die erst verschwindet, wenn sie ihre Ziele erreicht hat.

 

Dieser Text zum 100jährigen Gedenken an Bertolt Brecht wurde uns von unserem geschätzten Mitprolet # 296 (Beat Rölli) direkt aus der Strafanstalt im Wauwilermoos zugestellt.

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B. R. aus W. sei Dank: Tank ju veri matsch, wi ol lof ju!

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